Meine Freiheit
schmeckt bittersüß
Trotz Selbstausbeutung, zum Teil chaotischer Arbeitszeiten und überschaubarer Honorare: Lokaljournalismus ist spannend und macht (fast) jeden Tag aufs Neue Spaß. Bei vielen Verlagen ist aber leider noch nicht angekommen, wie wichtig die „Freien“ sind – auch für ihr wirtschaftliches Überleben.
Freier Journalist, Freelancer: eine berückende Aussicht nach vielen Jahren in einem Beruf im Angestelltenverhältnis, dessen Alltag vor allem durch Ansagen von Vorgesetzten, Arbeit nach Handbüchern, Dienstanweisungen und vierteljährlichen Auswertungsgesprächen bestimmt war. „Kann klappen, wenn Sie nicht zu viel Urlaub machen“, sagte der vom Arbeitsamt beauftragte Prüfer, der meinen Gang in die Selbstständigkeit begleitete.
Hat geklappt. Aber die Freiheit, von der mittlerweile immer noch Berufsanfänger träumen, die sich zu einem Berufsleben als Journalist berufen fühlen, hat für mich einen eher bittersüßen Geschmack gewonnen. Freiheit ja. Da ist kein Vorgesetzter, der dich kritisiert und dir vorschreibt was du zu denken hast. Schön, dass man häufig einige Ideen für Geschichten entwickeln kann, während die festangestellten Redakteure sich in Multi-Tasking üben und nach den Clicks ihrer Online-Berichte schielen. Wunderbar, dass kein Tag wie der andere ist. Spannend, dass man in alle Gesellschaftsschichten schnuppert und irgendwie am Puls des gesellschaftlichen Lebens ist. Und die Freude, nach einem langen Abendtermin mal auszuschlafen, während die abhängig Beschäftigten frühmorgens zur Arbeit hasten. Herr über seine Zeit zu sein, dass ist überhaupt ein Luxus, den man als Freier zu schätzen weiß. Süßer kann ein Arbeitsleben nicht sein.
Aber Freiheit, das ist auch der Zwang zur Selbstausbeutung: Das Auf und Ab der Auftragslage, die abgesagten Treffen mit Freunden. Die vielen Wochenenden, die man lieber mit der Familie verbracht hätte. Freiheit, das ist auch die Alternative, 60 Stunden die Woche zu arbeiten – oder aber die Anschaffung des neuen Autos hinauszuschieben. Freiheit kann überschaubar sein, wenn das Bankkonto in einer schlechten Phase dahinschmilzt. Besonders jetzt, im Corona-Lockdown, ist die Selbstbescheidung für einen „Freien“, der überwiegend im Lokaljournalismus unterwegs ist, Trumpf. Ach ja, die Situation von Freelancern in der Provinz war ja schon vor der Pandemie nicht rosig. Faire Honorare und Respekt für die Kreativität und Leidenschaft, die die „Freien“ häufig in die immer mehr industriell getaktete Redaktionsarbeit einbringen: Weitgehend Fehlanzeige! Die Corona-Krise hat diese Problematik – wie man so sagt – wie unter einem Brennglas unbarmherzig verdichtet. Bitter fühlt sich das an, für einen, der am Ende der „Nahrungskette“ sitzt. Das ist bitter.
Ich will nicht ungerecht sein: Auch die Verlage kämpfen momentan ums Überleben. Das Anzeigengeschäft, die Grundlage für guten lokalen und regionalen Journalismus, bröckelt jetzt noch stärker ab als vor der Krise. Keiner will hierzulande Zustände haben wie in den USA, wo lokale Berichterstattung kaum noch stattfindet – mit unabsehbaren Folgen für die Demokratie. Doch die Not der Verlage darf – ganz unabhängig von der Corona-Krise – nicht dazu führen, dass Journalismus „kannibalisiert“ wird, durch immer niedrigere Honorare für Freie oder gar die Aufbietung der „letzten Kolonne“ – spätberufene Rentner, die für ein nettes Lob und ein Salär, das weit unter dem gesetzlichen Mindestlohn liegt , Berichte liefern.
Wir sollten ehrlich sein: Freie Journalisten, die ihr Handwerk verstehen, sind angesichts des wirtschaftlichen Drucks, den sich die Zeitungsverlage seit längerem ausgesetzt sehen, unverzichtbar. Mich motiviert diese Erkenntnis jeden Tag, auf meine Arbeit kann ich stolz sein. Meine Hoffnung ist, dass auch den Verlagen klar wird, dass sie ohne uns keine Zukunft haben.
Peter Dilling